Quest of Freedom – Suche nach Freiheit
Von Yvonne Türler-Kürsteiner
Baratti, Chipilo, Puerto Vallarta und Favignana sind einige Titel der neuesten Werke von Andrea Muheim. Sie verweisen auf Strände weitab von Muheims Lebens- und Arbeitsmittelpunkt im Zürcher Kreis 4 und könnten auf eine unbändige Reiselust der Künstlerin schliessen lassen. Doch dem ist nicht so. Nicht aus persönlich motiviertem Fernweh, sondern mehr zufällig, manchmal sogar ziemlich widerwillig ist sie auf den Ägadischen Inseln oder in Mexico gelandet… Gelohnt hat es sich allemal. Die Fotos, die sie da und dort gemacht hat, dienen ihr – manchmal auch Jahre später - als Vorlage und unerschöpfliche Inspirationsquelle. Einige davon waren schwarz/weiss, die anderen farbig. Daran hält sie sich auch in der malerischen Umsetzung. Meint man jedenfalls auf den ersten Blick. Bei genauerer Betrachtung bilden sich jedoch selbst aus den hellsten Weiss- oder den dunkelsten Schwarztönen Farben heraus. Zarte Orange- oder Blautöne drängen an die Oberfläche. Sie sind es, die Muheims Motive in jenes geheimnisvolle Licht tauchen, das für die Stimmung in ihren Bildern so charakteristisch ist. „Dunkle Farben sind für meine Arbeiten zwar typisch und haben sicher eine melancholische Komponente. Aber schwermütig bin ich auf keinen Fall, im Gegenteil. Im Kontrast zu dunklen Farben kommt das Licht aber ganz einfach viel besser zur Geltung“, sagt Andrea Muheim. Und darauf hat sie es abgesehen. Das Licht ist ihre grosse Leidenschaft. Darauf richtet die Künstlerin ihren Fokus – im Leben, beim Fotografieren und in der Malerei.
Das war schon in ihren Stadt- und Landschaftsbildern so. Sie leben vom diffusen, meist nächtlichen Lichtspiel, das sich gelegentlich so verselbständigt, dass das Motiv von der Eigendynamik des Lichts überstrahlt und aufgelöst wird. Menschen sind darauf kaum zu sehen. In den aktuellen Arbeiten ist das anders, aber nicht grundsätzlich neu. Andrea Muheim malt seit über 20 Jahren Menschen und hat sich unter anderem als differenzierte und versierte Porträtmalerin einen Namen gemacht. Neu ist hingegen,
dass sich die Menschen auf ihren Bildern nicht mehr in Räumen, sondern im Freien aufhalten, an weiten Stränden. Sie lassen jenes Gefühl von Freiheit und Naturverbundenheit hochkommen, nach dem sich die Menschheit seit jeher sehnt und dem in der Ikonographie der europäischen Kunstgeschichte ein fester Platz zukommt.
Und neu ist auch der lockerere Pinselduktus. Er ist die malerische Antwort auf die Freiheitssuche und verleiht den Bildern von Andrea Muheim zudem eine neue Dynamik, die in der eingefangenen Bewegung der Menschen auf den Bildern ebenso eine Entsprechung findet wie in den wild tosenden Wassermassen. Das Arbeitstempo ist schneller geworden. Konturen werden verwischt und lösen sich auf, Menschen werden im Gegenlicht zu Schattenfiguren, verlieren ihre Gesichter, rücken in die Ferne und sind nur noch aus nächster Nähe als solche erkennbar. Dadurch nicht mehr identifizierbar, werden Verwandte und Bekannte aus Andrea Muheims Fotoalben in ihren Bildern zu anonymen Staffagefiguren, welche die Erhabenheit der Natur umso deutlicher hervortreten lassen, oder zu Sinnbildern für die menschliche Zwiesprache mit der Natur an sich, vielleicht auch zu Identifikationsfiguren für eigene Gefühle und Sehnsüchte des Betrachters oder der Betrachterin. Das jedenfalls wäre ganz im Sinne der Künstlerin.
Obwohl Andrea Muheim wie in früheren Werkzyklen auch bei diesen neuen Arbeiten ausschliesslich von eigenen Fotos ausgeht scheint sie sich zusehends von der fotografischen Vorlage zu entfernen.
Im Vordergrund stehen der befreite malerische Duktus und die damit einhergehende Stimmung, die zwischen dem Aufbruch zu neuen Ufern und dem Einssein mit sich und der Natur hin- und herpendelt.
Quest of Freedom – Suche nach Freiheit. Das ist ein Befreiungsschlag, der sich auf verschiedenen Ebenen abspielt. Auf der ganz persönlichen von Andrea Muheim, weil ihr Sohn selbständig geworden ist, eigene Wege geht und ihr als Frau und Künstlerin dadurch neue Möglichkeiten eröffnet werden, auf der motivischen weil die Menschen auf den Bildern aus der eingrenzenden Architektur in die freie Natur entlassen werden, auf der malerischen, was sich im freieren Duktus und in der zunehmenden Loslösung von der fotografischen Vorlage manifestiert und schliesslich auch auf der metaphorischen Ebene, weil es um mehr geht als um die Wiedergabe von Ferienerinnerungen an bekannten Badestränden. Baratti, Chipilo, Puerto Vallarta oder Favignana sind beliebig auswechselbare Destinationen. Sie werden zu Metaphern für ein Lebensgefühl, das sich nicht an geografischen Koordinaten orientiert und weder personen- noch zeitgebunden ist. Es kann sich jederzeit und überall einstellen, auch im Zürcher Kreis 4.